Institut Kunst

Bachelor

 

Silas Heizmann

Transparent
 

b_backb_stopb_forward

Protest berührt mich. Der Moment, in dem noch alles offen zu sein scheint – nicht nur durch die Euphorie, die herrscht, solange der Protest noch nicht an die Grenzen der Macht gestossen ist. Ich meine auch jene Offenheit, die durch eine Ungewissheit bezüglich der Ziele des Protests entsteht. Ein Moment, in dem es nicht darum geht, Forderungen auszuformulieren, sondern Angst und Ohnmacht entgegen zu treten. Protest als ein Ventil für Wut – nicht als ritualisiertes, zur Folklore gewordenes Sprachrohr.

Sobald Protest in eine Massenbewegung kippt, werden zwangsläufig auch seine Codes zum Mainstream: Die Sprache verallgemeinert sich, die Musik beschränkt sich auf konventionelle Formen, Symbole bedienen sich an Klischees. Die einst anstössige und unterwandernde Kraft wird kommerzialisiert und findet Eingang in die globale Popkultur. Mit der Folge, dass man sich zwangsläufig auch selbst darin wiederfindet, sobald man sich politisch ausdrücken und gesellschaftliche Kritik äussern möchte.

Aber wie kommt es, dass ausgerechnet Widerstand sich überholter Codes bedient, statt neue Ausdrucksformen zu schaffen, die der jeweiligen Situation von Ort und Zeit gerecht werden? Diese Diskrepanz zwischen der Komplexität der Inhalte und ihrer naiven Ausdrucksformen ernüchtert mich. Spannend wird es für mich dann, wenn sich eine Bewegung der Verunsicherung aussetzt und nicht auf eine klare Rollenverteilung zurückgreift. In meiner Arbeit beschäftigt mich die Frage nach einer neuen Formensprache des Protests.

 

Der Ausgangspunkt für meine Arbeiten ist oft dokumentarisches Material, das ich über die Jahre gesammelt habe: eigene Fotografien von Reisen und Streifzügen durch die Stadt, Zeitungsartikel, Flugblätter, YouTube Links und Designblogs aber auch Popmusik oder Field Recordings. Dieses Material verfremde bzw. abstrahiere ich durch einen Medienwechsel – ein Prozess, der mir ermöglicht auszuloten, was mich inhaltlich beschäftigt: soziale Umbrüche, städtischer Wandel oder die Suche nach kultureller Identität.

Diese Transformationsprozesse – mit Farbe auf gefundene Materialien zu drucken, Fotos zu überdecken bzw. zu zensieren, von einem digitalen in ein analoges Medium zu wechseln oder eine Percussionsperformance mit physisch spürbaren Bassfrequenzen zu verstärken – geben mir die nötige Distanz, um mich Bildern von Wut, Ohnmacht oder Wehmut stellen zu können.
Dabei geht es mir nicht um die Frage nach Wahrheit. Für mich wird es immer dann uninteressant, wenn man alles zu wissen glaubt und den Unterschied zwischen richtig und falsch oder gut und böse klar zu kennen meint.

 

Für die Arbeit Transparent, habe ich auf ein YouTube Video zurückgegriffen, das ich bei meinen Recherchen gefunden habe. Im Video ist ein griechischer Musiker zu sehen, der im Juni 2011 während einer Demonstration auf dem Syntagma Platz in Athen kretische Kriegsmusik auf seiner Lyra spielt. Aufgrund der Ausschreitungen und dem Einsatz von Tränengas ist er gezwungen, sein Spiel zu unterbrechen, es bricht Panik aus und der Filmer des Videos flüchtet vom Platz.

Für die vorliegende Arbeit habe ich zwei Musiker aus Basel gebeten, die Audiospur dieses Videos zu transformieren bzw. neu zu interpretieren. Baschi Pfefferli ist klassisch ausgebildeter Percussionist und spielt in verschiedenen Formationen für Neue Musik. In seiner Improvisation bezieht er sich vor allem auf die zweite Hälfte des Videos, in dem die Musik abbricht und die Selbstinszenierung des Filmers in den Vordergrund rückt. Till Zehnder studiert Audiodesign an der Musikakademie in Basel produziert elektronische Musik. Für seinen Track hat er die effektive Soundkulisse untersucht und das ursprüngliche Material mit eigenen Stimmaufnahmen verfremdet. Die beiden Neukompositionen finden sich auf der B-Seite einer 10inch Vinylplatte, deren A-Seite das Ausgangsmaterial wiedergibt.

Der zweite Teil der Installation umfasst eine Textilarbeit sowie Papierstapel mit Holzschnitten auf einem für die Ausstellung entwickelten Display. Die Arbeiten orientieren sich dabei an der graphischen Notation der Audiospur des YouTube Videos, die in meinem Auftrag von der chinesischen Komponistin Yiran Zhao erstellt wurde. Entstanden sind so abstrakte Bildkompositionen, die sich über einen zweifachen Medienwechsel wieder dem Motiv des Protests und der Krise kultureller Identität annähern.

Offen bleibt die Frage, inwiefern Abstraktion als politische Sprache fungieren kann: Ob sie eine subversive Kraft entfalten könnte, ohne wieder in Folklore oder popkulturelle Muster zurückzufallen und wie sie glaubwürdig einem Nichtwissen Raum geben könnte – gerade dort, wo es noch keine festgelegten Codes gibt. Meine Suche gilt der Aktualisierung von Gesten des Protests, die es mit der Komplexität der Gegenwart aufnehmen können.

Silas Heizmann
silas.h@hotmail.com

 

Institut Kunst, HGK FHNW, Freilager-Platz 1, CH-4023 Basel
+41 61 228 40 77, info.kunst.hgk@fhnw.ch, www.fhnw.ch/hgk/iku, www.institut-kunst.ch